Dienstag, 29. Juli 2008

335. Reuss

Nach doch recht langer Fahrt über die Schweizer Landstraßen kamen wir in Stetten beim oberspießigen Campingplatz Sulz an. Auf diesem Schweizer vorzeige-Zeltplatz sind selbst für Müll, Parken, Warmwasser – ja selbst zum Zähneputzen – Mehrkosten in unterschiedlicher Abstufung zu be“rappen“ und man passiert auf dem Weg zum Waschhaus gruselerregende Steingärten und Gartenzwerg-Biotope.

Wir luden Boote und Ausrüstung aus, stellten die Zelte rechtzeitig vor dem herannahenden Unwetter auf und sortierten uns während des Gewitters in mein famoses Tipi während René und Roland kurzentschlossen die Autos umsetzten. Alle waren doch recht erledigt vom Vormittag und der Fahrt aber zumal die Autos nun schon weg waren wurden aufkommende Zweifel an der Notwendigkeit der Einhaltung des Paddelprogramms schnell unterdrückt. Nach dem Gewitter, irgendwann am späteren Nachmittag gings etwas leichter bekleidet als am Vormittag auf dem Kanal los.

Die Reuss ist ein richtig zügig fließender breiter Fluss mit gelegentlichen Schwällen und allerlei lose gestreuten Steinhindernissen – zahlreiche Spielstellen laden für Energiegeladene zum Spielen ein. Ich hatte nur noch wenig Energie und absolvierte gleich an einer ufernahen flachen harmlosen Kehrwasserstelle meine fünfte Kenterung für den Tag. Völlig unspektakulär aber massiv demotivierend. Positiv ist aber, dass ich mich bei jeder meiner fünf Kenterungen dieses Tages (die vier in Hüningen vom Vormittag gut, schnell und problemlos aus meinen Schenkelriemen herauswinden konnte.

Die restliche Strecke paddelte ich höchst sicherheitsbewusst und reichlich müde ab.
Immerhin hatte ich für diese Fahrt das leichte (wenn auch vom Paddelblatt her für diesen Zweck eigentlich zu große) Marathonpaddel gewählt, mit dem ich erheblich besser zurecht kam als mit dem klobigen vereinseigenen Kober-Paddel vom Vormittag.

Im Grunde ist dieser Reuss-Abschnitt von Stetten bis Mellingen eine ideale Übungsstrecke weil an den verschiedenen Spielstellen recht risikofrei geübt werden kann – eine Kenterung hat keine bösen Folgen weil die unten liegenden Flussabschnitte frei und völlig unverblockt sind. Aber meine Kondition ließ an dem Nachmittag/Abend wenig bis keine Experimente mehr zu.

So kamen wir schließlich in Mellingen an, verluden Boote und Ausrüstung auf Rolands Auto und fuhren zunächst in kleiner Besetzung zum Campingplatz. René setzte sich dann gleich wieder in sein Auto um den Prospector und den Rest der Mannschaft abzuholen während wir uns auftragsgemäß der Zubereitung des von Marion vorbereiteten Essens (Spaghetti Bolognese) zuwandten.
Als das Essen dann fertig war waren wir immer noch im kleinen Kreis und ein besorgter Anruf über den Verbleib der restlichen Mannschaft belehrte uns über besorgniserregend vage umschriebene „technische Probleme“ die aufgetreten seien.
Wir begannen schon mal mit dem Essen.
Als die anderen schließlich kamen und die technischen Probleme (die sich als Besuch eines auf der Strecke liegenden Biergartens entpuppten) bewältigt waren, waren wir mit dem Essen fertig und die Spaghetti kalt und klebrig. Es wurde weiter gegessen, weiteres Bier getrunken, offenbar einer ungeschriebenen Regel folgend die leeren Bierflaschen im Gras und auf dem Tisch verteilt und ein Konflikt über den notwendigen Abwasch angezettelt und über den gesamten Abend ausdauernd aber ungelöst gepflegt. Überhaupt gibt es in dieser Runde den einen oder anderen liebevoll gehätschelten Konflikt, dessen Inszenierung sich – eine gewisse Belastung der Unbeteiligten billigend in Kauf nehmend – beständig hart am Rand der Scherzhaftigkeit und des Umschlagens in bitteren Ernst befindet.
Ich ging – nicht nur vom Paddeln – ziemlich ermattet gegen 23:00 Uhr „früh“ in den Schlafsack, in dem ich aber trotz der „strikten Nachtruhe“ von 23:00 bis 8:00 Uhr auf diesem biederen Vorzeige-Camping-Platz mit seinen wohlgepflegten von Zäunen eingefassten Wohnwagen-Vorgärten wenig Schlaf fand. Ich werde wohl doch mit zunehmendem Alter zum Sensibelchen, das sich von umherziehenden, sich laut unterhaltenden Zeltplatzhorden, Gewittergüssen und trommelndem Regen im Schlaf nachhaltig stören lässt.

Am anderen Morgen hatte Frühaufsteherin Paula dann schon das Essgeschirr gespült (was sie angesichts der Hackfleichsoßenreste als Vegetarierin einige Überwindung gekostet haben muss – im Übrigen hatte sie ja beim abendlichen Kochen bereits eifrig mitgeholfen) während Salatschüssel, offene Gewürzdosen, Kochutensilien und halbleere Töpfe nebst Bierflaschen noch großzügig und sehr zum Befremden einiger Schlauchcanadier paddelnder Schweizer Nachbarn (die im imposanten 9er Tentipi dichtbei residierten) über mehrere regennasse Tische, Bänke und den Rasen verteilt waren. Mir war das reichlich unangenehm und ich beschäftigte mich (schon weil’s mein Topf war) mit Topfspülen.

Weil alles nass war frühstückten wir bei mir im Tipi – die allmählich eintrudelnden Teilnehmer gruppierten sich schlaftrunken und krümelnd im Zelt und um den Eingang.
Nach dem Frühstück bauten wir alles ab, verstauten das Gerümpel im Auto (nebst den inzwischen eingesammelten Flaschen) und machten uns auf nach Bremgarten von wo aus wir heute paddeln wollten.

Mir ging es nur unwesentlich besser als gestern und so setzte ich erneut zu einer Sicherheitsfahrt an, aus der ich an diesem Tag ungekentert hervorging. Es ist ein ambivalenter Stolz, den ich damit verbinde – einerseits ist es ja prima, dass mich inzwischen so leicht nichts umhaut in dem kleinen Böötchen, andererseits ist es ja völliger Quatsch jedem Risiko aus dem Weg zu gehen bloß weil ich nicht schwimmen will. Am Ende der Fahrt gingen nämlich Paula, Steffen und ich in voller Montur an der Aussatzstelle mehrfach baden (wir liefen Flussauf, sprangen ins Wasser und übten das Reinrollen ins Kehrwasser) und angesichts der freundlichen Luft-Wasser-Temperatur-Relation machte das richtig Spaß. Dergleichen sollte gewohnheitsmäßig gleich am Anfang jeder Wildwasser-Ausfahrt gemacht werden damit mit Kenterungen weniger Schrecken verbunden sind.







Aber damit bin ich wieder beim Anfang der sonntäglichen Paddeltour. Gleich in Bremgarten kommt ja die „Welle“, die früher wohl deutlich beeindruckender gewesen sein muss als sie es heute noch ist. Roland und Rainer versuchten einige Male ihr Glück nachdem wir anderen die Welle rechts umfahrend mit Müh und Not am unteren Ende der in der Mitte des Flusses liegenden Kaimauer angelegt hatten um von da aus zu sichern und zu dokumentieren. Einige unentwegte Surfer waren auch da und versuchten auf die Welle zu kommen, was aber offenbar angesichts des nicht hinreichenden Wasserstands niemandem so recht gelang. Rainer und Roland auch nicht. Rainer absolvierte dabei unerschrocken zwei Kenterungen in den tiefen Wogen unter der Welle.
Auch Steffen, der als Anfänger auf dem für solche dann doch recht anspruchsvollen Fluss dabei war (und der von Roland vorbildlich gecoacht wurde), musste das eine oder andere Mal ziemliche Strecken schwimmen. Mit bewundernswerter Ausdauer schwang er sich dann immer wieder in sein Kajak (ich bin damit an der Aussatzstelle auch ein paar Runden gefahren und musste feststellen, dass ich dieses beidseitige Paddeln im geschlossenen Gehäuse fortwährend eher gruselig finde). Paula, die sein vollgelaufenes Boot ähnlich weit hinter sich her zerren musste bewies ebenfalls viel Ausdauer. Dass dieses Boot nach der Kenterung so viel Wasser aufnehmen konnte lag daran, dass mal wieder irgendjemand einen der beiden Auftriebskörper (aus welchem Grund bloß?) entfernt hatte und dass vor Fahrtantritt nicht nachgeschaut worden war ob einer drin ist. Vorwürfe an den Materialwart verbat ich mir in diesem Zusammenhang – es kann nicht mein Job sein, beständig die Vereinsboote aus dem Regal zu zerren und nachzuprüfen ob alle Zubehörteile drin sind. Darauf müssen die Paddler und Übungsleiter selbst achten und die Leute, die wichtige Teile aus welchem Grund auch immer entfernen haben sie vor der Wiedereinlagerung gefälligst wieder einzubauen.

Wir zielten wieder Mellingen an und kamen – nach einer entspannten Vesperpause auf einer Kiesbank - so nach zwei Dritteln der Strecke wieder am Campingplatz vorbei zu der vom vorherigen Abend vertrauten Strecke. Hier versuchte ich mich auch ab und an im „Surfen“. Die eine oder andere Beinahe-Kenterung beim Quertreiben hinter der Welle konnte ich mit zunehmend schnelleren Reflexen abwenden und musste mir doch eingestehen, dass ich dieses „Surfen“ wenig prickelnd finde – entweder weil ich’s einfach längst noch nicht kann oder weil ich – gewissermaßen in Wanderfahrt-Tradition – geneigt bin, es als müßige Gleichgewichtsübung und Streckenunterbrechung anzusehen, die mich am weiteren Fortkommen auf dem Fluss hindert. Dabei ist gerade der kleine Dagger-Phantom ja genau für diesen Zweck gebaut. Im Grunde meines Herzens betreibe ich diese Wildwasserei vielleicht doch nur in der romantischen Vorstellung mich damit für die rauen Abschnitte der zu bewältigenden Strecken in der zivilisationsfernen Wildnis zu wappnen...

Irgendwann kamen wir in Mellingen an und widmeten uns unseren Badeübungen. Roland und René machten sich auf, das Auto aus Bremgarten zu holen während wir zurückbleibenden uns verpflichteten, Boote und Ausrüstung zur Verladestelle am Parkplatz zu befördern. Nach dem Umziehen machte ich auch einen Anlauf, diesen Prozess in Gang zu bringen, prallte aber an einem „Das ist nachher auch noch schnell gemacht“ ab. Roland war zu Recht säuerlich als er zurückkam und ein großer Teil der Boote und Ausrüstung noch am Ufer lag.


Rainer probierte den Phantom aus.

Dann luden wir aber flott auf, besorgten noch Getränke für die Rückfahrt und nahmen wieder die Landstraße (in der Schweiz) unter die Räder. In Deutschland ging’s auf die Autobahn und um 21:00 Uhr waren wir wieder beim Bootshaus.
Erneut wurde nach dem Verstauen der Boote- und Ausrüstung dem Bier zugesprochen, erneut lagen die Flaschen in der Gegend rum und ich kam mir erneut dämlich penibel vor weil mich das zunehmend stört. Das hat weniger damit zu tun, dass ich kein Bier mag sondern eher damit, dass alle Klischees gegenüber Biertrinkenden Vandalenhorden in solchen unnötigen Unsitten ihren Brennpunkt finden. Ganz generell finde ich es erschreckend und fahrlässig in Zusammenhang mit längeren Auto- und auch Bootfahrten Alkohol als Durstlöscher einzusetzend und könnte ich meine Teilnahme an derartige Vereinsausfahrten von den angemeldeten Mitpaddlern abhängig machen würde ich das – unabhängig von den paddlerischen Großtaten der betreffenden Zeitgenossen – nach dieser Erfahrung zweifelsfrei künftig auch tun.

Dabei war die Fahrt auch im positiven Sinn lehrreich. Ich bin einigermaßen zufrieden damit, dass ich mit dem kleinen Wildwasserboot soweit klarkomme und werde jetzt künftig bewusst noch mehr damit im realen Wildwasser üben. Aber auf Ausfahrten mit längeren „Strecken“ und zu erwartender Wasserwucht nehme ich den längeren und wesentlich gutmütigeren Outrage. Dieses „Altherrenboot“ wird so schnell nicht wieder verkauft auch wenn mir schon dahingehende Andeutungen entschlüpft sind (sorry Rolf!). Das neue Paddel und der Trockenanzug fürs Wintertraining im Freien müssen wohl anderweitig finanziert werden bzw. warten.

Für das Wintertraining im Hallenbad ist der Phantom unentbehrlich – vielleicht gelingt es mir ja doch eines Tages weiter als 180° zu rollen – dann spendiere ich mir eine kleine Elektropumpe, die das irritierende Bilgenwasser bei Bedarf aus dem Boot sprotzt – selbst kleinste Mengen dieser hin- und herschwappenden Wassermassen beeinflussen die Stabilität des Bootes für mein Empfinden beträchtlich (in anderen Dingen bin ich ja besorgniserregend unsensibel...). Ich habe schon an lauter einlaminierte Längswülste aus Schaummaterial im Rumpf fantasiert, die diese Gewichtsverlagerungen reduzieren könnten. Aber letztendlich ist der geplante Bulkhead ja schon eine geeignete Maßnahme dem Wasser Platz weg zu nehmen.

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